In Schwerin

Jahreshauptversammllung 2023

Innenstadt-Entwicklung, KI, KulturPass - die Jahreshauptversammlung des Landesverbands Nord streifte viele Themen. Und wie hoch der Grad von Austausch und Vernetzung ist, ist den Insidern oft gar nicht so bewusst.

"Der Kollege, der immer rangeht" – damit meint Cornelia Klemm von der Buchhandlung Reisen & Lesen in Bergen/Rügen Geschäftsführer Volker Petri. "Egal wann ich anrief, er konnte mir alle Fragen beantworten", meinte Klemm, die aus der Reisebranche kommt und sich entschlossen hatte, Buchhandel dazu zu nehmen. Was sie beim Landesverband Nord erstaunt hatte: "Hier bündelt eine Branche ihre Erfahrungen in einem Schwarmwissen. Ich hatte schon gestern so viele anregende Gespräche – ich werde heute Nachmittag sehr erfüllt nach Hause fahren", zog Klemm Bilanz ihrer ersten Jahreshauptversammlung, die von 3. bis 4. Juni in Schwerin stattfand.

Die mecklenburgische Landeshauptstadt hatte sich mit Bilderbuchwetter auch alle Mühe gegeben. Rund 40 Mitglieder aus Buchhandel, Verlagen und Zwischenbuchhandel konnte Landesverbandsvorsitzende Branca Felba begrüßen zu einem Stadtrundgang zum Thema Innenstadtentwicklung anhand lokaler Beispiele. Schwerins stellvertretender Oberbürgermeister Bernd Nottebaum und Bernd Pichotzke vom Fachdienst Stadtentwicklung und Wirtschaft erwiesen sich als diskussionsfreudige Stadtführer, die auf Highlights und Schwachpunkte hinweisen konnten und wesentliche Fragestellungen darlegten: War es die richtige Entscheidung, Einkaufscenter in die Innenstadt zu holen? Sie verdrängen sichtbar Läden, gleichzeitig sind sie Kundenmagnete, die Menschen in die City ziehen. "Während nach 1990 viele zum Einkaufen nach Lübeck und Hamburg fuhren, kommen jetzt in der Vorweihnachtszeit die Leute aus Lübeck hierher, um in den Straßen zu bummeln", berichtete Pichotzke. Auch aus dem Umland fahren die Menschen zum Einkaufen ins 98.000 Einwohner starke Schwerin. Die drei recht dicht beieinander liegenden Einkaufszentren sind unterschiedlicher Natur; "während der Marienplatz eine Straßenbahnumsteigefläche ist und entsprechend turbulent, ist bei den Schweriner Höfen viel weniger Raus und Rein feststellbar; das Kino Capitol zieht Besucher an, was für eine Buchhandlung bessere Bedingungen bietet", sagte Nottebaum.

Mit leerstehenden Läden, derzeit rund 30, hat Schwerin dennoch zu kämpfen, und es wird überlegt, wie man dem Missstand begegnet. Nottebaum berichtete von einem Gestaltungsbeirat und unterschiedlichen Ideen, die Stadt attraktiver zu machen, unter anderem hatten auf eine Ausschreibung hin Autoren Texte für Schaufenster geschrieben, die Passanten zum Innenhalten bewegen. Ein Ziel, so Nottebaum, ist , alle Seeufer in der Stadt öffentlich zugänglich zu machen, ein weiteres, eine Universität zu eröffnen, die Studierende in die Stadt bringen würde, die zum Beispiel auch dem spürbaren Mangel an gastronomischen Teilzeitkräften abhelfen könnten.

Die Gespräche wurden im Plenarsaal des Rathauses weitergeführt, danach diskutierten Buchhändlerin Iris Hunscheid von der IG Unabhängige SortimenteVerleger Robert Plaul von der IG Unabhängige Verlage und Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck über die Auswirkungen und den Einsatz von KI im buchhändlerischen wie verlegerischen Alltag. Im Nu debattierten die Mitglieder mit, Meinungen und erste Erfahrungen wurden ausgetauscht. Dabei wurde deutlich, wie wichtig die ehrenamtliche Arbeit in den Gremien ist, um Forderungen zu positionieren. So mancher Diskussionsfaden wurde am Abend im Weinhaus Wöhler bis Mitternacht fortgesponnen.

Der rührige Landesverband war aber auch im vergangenen Jahr über fleißig: 595 (von insgesamt 707) Mitglieder haben sich im vergangenen Geschäftsjahr mit unterschiedlichen Anliegen an die Geschäftsstelle gewendet. 72 Mitglieder wurden persönlich besucht, "da haben wir durch Corona einen Nachholbedarf“, sagte Geschäftsführer Volker Petri. 11 Regionaltreffen und 21 digitale Vernetzungstreffen haben 2022 stattgefunden, bei den Buchbesprechungstagen waren 1500 Interessierte dabei.

Neben Wirtschaft und Branchenthemen durfte die Kultur bei der Jahreshauptversammlung mit all ihren üblichen Regularien nicht zu kurz kommen. Eine sachkundige Führung durch das Schweriner Schloss respektive den Mecklenburgischen Landtag zeigte anschaulich Themen wie Baupolitik, Barrierefreiheit, Denkmalschutz, Statik und Brandschutz.

Mit KulturPass und Leseförderung ging es mit der Kultur weiter. Friederike Susanne Hemming vom Vorstand des Landesverbands wies wie Hunscheid und Hauck am Vortag auf die Chance hin, beim KulturPass  mitzumachen: "750.000 junge Menschen werden ein Budget von je 200 Euro bekommen, das ist ein Budget mit potenziellen 50 Millionen Euro", rechnete Hemming vor. "Online-Versandhändler können nicht mitmachen, aber alle Buchverkaufsstätten, die kulturelle Angebote machen." Iris Hunscheid wies darauf hin, dass zwei Buchhändler in einem Webinar der IG Unabhängige Sortimente Ende Juni/Anfang Juli noch einmal Schritt für Schritt erklären, wie man mögliche technische Klippen meistert. Eine Buchhändlerin erklärte, dass das richtige Elster-Zertifikat Unternehmensorganisationszertifikat heißt, ein anderer, dass man sich ein Kommunikationspaket mit Plakaten auf der Seite der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien herunterladen kann. Das von Klemm so bewunderte Schwarmwissen – es war beim Landesverband Nord allgegenwärtig.

Text: Dr. Stefan Hauck / Börsenblatt
Originalartikel: https://www.boersenblatt.net/news/boersenverein/mehr-reden-242975